Sie sind hier: Startseite

Leseproben Text

Wie das alles angefangen hat damals...

Ausschnitt aus Teil 3 der Checker-vom-Necker-Saga

In der Neunten ist der Otto damals am Anfang vom Schuljahr zum Jakob, zum Hansi und zum Heiner in die Klasse gekommen. Am Elly hat der Otto nämlich nochmal eine Chance gekriegt, nachdem er in Kirchheim wegen einer lumpigen Schlägerei zu viel von der Schule geflogen ist. Der Rektor an der neuen Schule hat ihm gleich bei ihrer ersten Begegnung gesteckt, dass er hier sofort fliegt, wenn er sich den leisesten Ausrutscher erlaubt. Da war der Otto schon fix und fertig, bevor er überhaupt ins Klassenzimmer gekommen ist.
Die Klassenlehrerin, die Frau Bechtle-Bär, hat den Otto der Klasse vorgestellt: 'Das ist der Otto... Otto, willst du was über dich erzählen?'
Der Otto kuckt sich den Fußboden an, den die hier haben.
'I benn dr'Oddo,' murmelt er. 'Von Kircha.'
'Aus Kirchheim,' übersetzt die Lehrerin.
Die Mädels kichern und der Otto kriegt knallrote Ohren. Jeder kann sehen, dass das Folter für ihn ist, vor einer wildfremden Klasse zu stehen und sich anstarren zu lassen wie ein Erdmännchen im Zoo. Die Lehrerin hat Mitleid mit ihm und setzt ihn neben den Jakob, den sie gleich in der ersten Stunde nach den Ferien von seinem angestammten Sitznachbarn, dem Hansi, getrennt hat. Begründung: exzessives Rumblödeln.
Das hat dem Jakob gar nicht gepasst, dass er neben einem Typ hocken muss, der zwei Köpfe größer ist als er und aus der Wäsche schaut, wie wenn sein Hirn nicht mitgewachsen wär. Außerdem geht der Otto dem Jakob schon nach zwei Minuten total auf die Nerven, weil der Otto abnormal nervös ist und mit den Füßen wippt, dass der ganze Tisch wackelt. Wenn der Jakob rüberschaut, sieht er, dass der Bursche sogar zittert.
'Sammal, bisch du en Schbasdi oddr was?' fragt der Jakob.
Der Otto versucht, da nicht drauf zu reagieren, und wippt bloß noch schneller.
'Voll der Schbasdi, he,' meint der Jakob in der Pause, als der Hansi und sein Bruder, der Heiner, ihn fragen, was der Neue für ein Typ ist.
Der Heiner zuckt mit den Schultern.
'Frag'n mal, ob'r Basgedball schbield,' meint er. 'Der kann gwieß von oba rondr en da Korb schbugga, so groß wie der isch.'
Der Jakob schnaubt.
'Des kåsch'n selbr fråga, on vill Gligg. Der krigd nemmlich s'Maul ed auf, i glaub, der machd sich schier en d'Hos.'
Der Hansi grinst. Der ist schulpolitisch immer saugut informiert und sagt, 'Der isch bei sich drhoim von dr'Schul gfloga on deswäga bei ons glanded. Den brauchmr bloss a bissle prowoziera, nå isch der ganz schnell widdr weg vom Fenschdr.'
Da ist der Jakob sofort dabei.
'Au ja, den schiggmr en d'Wüschde!'
Der Otto unternimmt von sich aus auch nichts, um nicht in die Wüste geschickt zu werden, der hampelt und schweigt. Der Jakob fragt ihn sogar mal, ob er tatsächlich von der Schule geflogen ist, aber da antwortet der Otto nicht drauf.
Auch nicht, als der Jakob's mit Pseudo-Taubstummensprache versucht.
'Jakob, willst du nachsitzen kommen?' fragt ihn die Frau Bechtle-Bär. Da stöhnt er und lässt's bleiben.
Aber dem Jakob seine Großmut hat Grenzen. Nachdem er zwei Wochen lang dem Otto sein nervöses Rumgehampel ertragen hat und sich absolut keine Besserung einstellt, streckt der Jakob irgendwann und fragt die Lehrerin, ob er sich umsetzen kann.
Die Frau Bechtle-Bär kuckt ihn bloß grimmig an.
Der Jakob erklärt, 'Der Tübb machd me total kirre mid seim Schbasdi-Gehoppl! I kann me ächd ed auf da Ondrrichd konzendriera so!'
'Jakob, deine Ausdrucksweise ist inakzeptabel,' meint die Frau Bechtle-Bär und macht 'Bscht!', weil die Mädels kichern. Dann fordert sie den Jakob auf, sich beim Otto zu entschuldigen, und als der Jakob sich weigert, weil er findet, dass er im Recht ist, darf er mal wieder zum Nachsitzen kommen.
Das war's für den Jakob. Jetzt kümmert er sich höchstpersönlich um den Burschen. Und ein paar Tage später kriegt er die Gelegenheit dazu. Nach der Mittagsschule hängt er noch mit dem Hansi auf dem Schulhof rum, als der Otto aus der Turnhalle kommt. Der Sport ist schon seit zwanzig Minuten rum; was hat der so lang da drin gemacht?
'Da Pimml ondr dr'Globrill eiglemmd on nemme losbråchd,' kommentiert der Jakob und der Hansi wiehert los.
Sie stehen auf und gehen dem Otto entgegen. Der kuckt bloß blöd. Schiss scheint er keinen zu haben, dazu ist er zu groß. Dafür wird dem Jakob ein bisschen mulmig. Was, wenn der Psychopath echt wegen einer Messerstecherei von der Schule geflogen ist? Die Geschichte hat der Hansi dem Otto mittlerweile erfolgreich angedichtet.
'He, Schbasdi!' ruft der Jakob dem Otto trotzdem zu. Nicht, dass der Hansi ihn am Ende als Weichei abstempelt.
Diesmal reagiert der Otto sogar.
'I benn dr'Oddo,' sagt er.
Kennt der auch noch andere Sprüche?
'Bscheuerdr Name,' meint der Hansi.
Der Otto kuckt lahm zu ihm rüber.
'Hegschns halb so bleed wie Hansi,' sagt er.
Der Jakob muss grinsen. Da hat er nicht ganz unrecht.
Dann schnauzt er, 'He, wäga dir Wigsfigur derfe nägsch Woch nåchsitza.'
'Ed mei Broblem,' sagt der Otto und setzt sich wieder in Bewegung.
'Håsch Schiss, oddr warom hausch ab?' fragt der Hansi.
Klar, dass der Otto sofort wieder stehen bleibt.
'Schiss vor was?' fragt er.
'Dass de hier au von dr'Schul fliegsch, wenn de Schdreid åfangsch,' sagt der Hansi.
Der Otto kneift die Augen zusammen. Der fragt sich, woher der das weiß. Der Rektor hat ihm gesagt, dass bloß das Kollegium informiert ist, seine Mitschüler nicht.
Der Otto entscheidet, da nicht drauf zu reagieren, und sagt bloß, 'Ludschad eich gegaseidich ab, ihr Langweilr.'
Dafür kriegt er dem Jakob seine Faust in die Magengrube, und der Hansi kickt ihm in die Rippen, als der Otto sich zusammenkrümmt. Der Otto stolpert zur Seite und muss sich mit der Hand am Boden abstützen, um nicht hinzufallen. Er macht drei Schritte rückwärts und bleibt dann stehen und wartet ab, ob nochmal was kommt.
Der Hansi gackert blöd, der ist total aufgeputscht von seiner Kickboxnummer. Der Jakob grinst auch. Macht Spaß, den hirnlosen Hünen fertigzumachen.
Der Otto kuckt vom Einen zum Andern. Er zittert jetzt so stark, dass es aussieht, als ob er im Stakkato nickt. Der Jakob kuckt sich das eine Weile an. Dann schüttelt er den Kopf, greift sich in die Hosentasche, holt da was raus, steckt es sich in den Mund und zündet es an. Er nimmt den ersten Zug, verschluckt sich fast und streckt das Ding dann dem Otto entgegen.
'Da, Schbasdi. Aufraucha,' sagt er zu ihm. 'Des brengd de hoffndlich rondr von deim Vibrador-Trip.'
Der Otto nimmt das Ding entgegen und zieht dran. Er kann sich ungefähr denken, was das ist, weil's nicht wie eine normale Zigarette aussieht, riecht oder schmeckt, das hat er schon probiert. Er will's zurückgeben, aber der Jakob nimmt's nicht und wiederholt, dass er's aufrauchen soll. Also macht der Otto das halt, während der Jakob und der Hansi zukucken, und der Jakob hat recht: Die Medizin, die der Doktor Layh dem Otto verschrieben hat, scheint zu wirken. Der Bursche beruhigt sich und das Zittern hört auf. Die Kinnlade klappt runter, der Blick wird glasig, und er wedelt immer wieder mit der Hand vorm Gesicht, wie wenn da was rumschwirren würd.
Der Hansi gackert los.
'Scheiße, isch des geil! Der Wigsr isch total bekiffd!'
Der Jakob grinst. Wenn sie's jetzt schaffen, den Otto ins Schulgebäude zu lotsen, und da latscht noch ein Lehrer rum, dann ist der Bursche am Arsch.
Der Otto stutzt und starrt auf ein Dimensionsloch.
'Gael,' murmelt er und streckt die Hand danach aus. Dann läuft er los und verschwindet durch das Loch. Der Hansi will ihm hinterher, aber der Jakob hält ihn zurück.
'Lass en laufa, der håd sei Fedd erschmål weg,' meint er.
'Wieso håsch den da ganze Dschoind raucha lassa?' fragt der Hansi. 'Jetz müssmr neuer Schitt bsorga!'
Der Jakob zuckt mit den Schultern. Morgen Abend kann er beim Marley Nachschub holen.
Sie selber hängen auch nimmer lang auf dem Schulhof rum.
'I pagg's, Aldr,' sagt der Hansi und schlägt im Jakob seine Hand ein. Dann schnappen sie ihre Turnbeutel und brechen in verschiedene Richtungen auf.
Der Jakob ist kaum vom Schulhof runter, da sieht er den Otto vor sich dahinlatschen. Er muss grinsen. Das mit dem Gleichgewicht hat der Bursche grad nimmer so ganz drauf. Er kommt dem Bordstein immer näher, und dann stolpert er auf die Straße einem dicken Mercedes direkt vor die Nase. Der Autofahrer macht eine Vollbremsung und drückt auf die Hupe, weil er den Burschen fast überfahren hätt. Der Jakob hört ihn irgendwas fluchen. Der Otto stolpert auf den Trottoir zurück, hebt die Arme und signalisiert dem Autofahrer, er soll nicht so rumspießen. Der gibt stinksauer Gas und rast weiter, während der Otto unbekümmert seine Wanderung fortsetzt. Aber er kommt nicht weit; als nächstes stolpert er über seine eigenen Füße und landet in den Büschen.
So witzig das ist, der Jakob merkt grad, dass der Otto zu dicht ist, um seinem Schicksal überlassen zu bleiben.
Der Jakob ächzt. Der Typ geht ihm echt auf die Nerven. Er nähert sich der Stelle, wo der Otto ins Gebüsch gefallen ist, und fischt ihn da raus.
Der Otto richtet sich auf und stiert auf ihn runter, so nach dem Motto, was will der schon wieder, der wird langsam anhänglich.
'Komm, i breng de hoim,' sagt der Jakob. 'Wo wohnsch'n?'
Der Otto schaut sich um.
'En Kircha,' sagt er dann.
Der Jakob hebt die Augenbrauen. Das ist ganz schön weit. Wie soll der Depp jetzt heimkommen? Der ist zu bekifft, um's allein bis nach Kirchheim zu schaffen – der hockt im Flieger nach Timbuktu. Als Pilot.
Der Jakob verdreht die Augen und fasst sich an den Kopf. Sie stehen eine Weile rum, während der Jakob drüber nachdenkt, den Otto ins Gebüsch zurückzuschubsen und da bis morgen liegenzulassen. Aber am Ende stöhnt er und schnauzt, 'Scheißdregg, nå kommsch hald mid zo mir.'
Er setzt sich wieder in Bewegung, und der Otto folgt ihm wie ein Hündchen. Der Jakob merkt, dass der Bursche auch von der nächsten Brücke springen würd, wenn er ihm das sagt.
Die Mamma Layh macht ihnen die Tür auf, als sie beim Jakob daheim ankommen. Die ist nicht grad begeistert über den Burschen, den ihr Bub da anschleppt. Der sieht aus, als wär er betrunken: Augen auf Halbmast, Maul offen, schwankender Gang. Der Jakob merkt das und schafft den Otto schnellstmöglich außer Sichtweite. Er schubst ihn im Fernsehzimmer unterm Dach aufs Sofa, schaltet ihm den Fernseher ein und sagt, er soll da sitzenbleiben, bis er wiederkommt. Dann geht der Jakob runter in die Küche und plündert den Kühli. Prompt kommt die Mamma Layh rein und hält ihm einen Vortrag über falsche Freunde, die brave Buben zu Dummheiten verleiten wollen.
'Desch ed mein Kumbl,' brummt der Jakob. 'Außrdem war i's, wo em da Schitt zom raucha gäba håd' – das sagt er nicht, das denkt er bloß.
Er lädt sich die Cola, die Chips, kalte Pizza und weitere Verpflegung auf und schleppt alles unters Dach, wo der Otto den Schauspielern in den Werbespots wertvolle Tipps zujohlt. Für den Rest vom Abend ziehen sie sich fast bloß Werbung rein und schalten extra rum, um neue Werbung zu finden, wenn irgendein Film weitergeht. Der Jakob lacht sich den Arsch ab und versucht sich genauso bescheuertes Zeug zu überlegen wie der Otto. Der ist echt kaputt, der Typ!
Um zehn klopft der Pappa an und sagt, dass es jetzt Zeit fürs Bad und fürs Bett ist. Den hat die Mamma geschickt, damit er sich den Otto auch noch ankucken kann. Der ist zum Glück schon wieder halbwegs runtergekommen.
'Sollmr dein Glassakamarad gschwend hoimfahra?' bietet der Pappa dem Jakob an.
Der steht vom Sofa auf, streckt die starren Glieder und schüttelt den Kopf.
'Der wohnd en Kirchheim, Pappa. Kå der heid em Gäschdezemmr schlåfa?'
'Des heddsch au scho früher saga kenna, Bua,' murrt der Pappa Layh.
Er gibt wohl oder übel der Mamma Bescheid, die schnell das Gästebett überzieht, während der Otto gähnend danebensteht und zukuckt. Zum Schluss drückt sie ihm eine Zahnbürste in die Hand, sagt 'Gud Nachd' und macht die Tür vom Gästezimmer ziemlich energisch hinter sich zu.

'Willsch dein Kumbl ed wegga?' hat die Mamma Layh den Jakob am nächsten Morgen gefragt, als er am Frühstückstisch erschienen ist.
'Desch ed mein Kumbl!' hat der Jakob gefaucht.
Dann ist er wieder nach oben gegangen. Da klopft er zuerst, und dann hämmert er gegen die Tür vom Gästezimmer. Kein Mucks.
Der Jakob macht die Tür auf in der Hoffnung, dass der Typ sich heut Nacht mit dem Erbschmuck aus dem Staub gemacht hat, aber da hat er Pech, der Otto liegt im Gästebett und pennt. Im Zimmer riecht's, als hätt ein Ziegenbock da übernachtet, den Jakob haut's fast rückwärts wieder raus. Er reißt sofort die Balkontür auf.
Als die Sauerstoffzufuhr gesichert ist, dreht er sich zum Otto um, der immer noch nichts mitkriegt. Ein riesiger, ekliger Bluterguss hat sich an seinen Rippen gebildet, da wo der Hansi ihn getroffen hat.
'He, Schbasdi! Schdand uff!' ruft der Jakob, aber der Otto reagiert nicht.
Der Jakob hat keine Lust, den Typen mit den Händen anzufassen, und rüttelt mit dem nackten Fuß an ihm. Das hilft. Der Otto schreckt aus dem Schlaf und kuckt sich wild um. Der hat keine Ahnung, wo er ist und wie er hier gelandet ist. Und dass sein fieser Nebensitzer an seinem Bett steht, ist ein schlechtes Zeichen.
'Reg de ab, Kerle,' meint der Jakob. 'Håsch's nemme hoim gschaffd nach dem Dschoind geschdrn, deswäga håsch bei mir iebrnachded. En'ra dreivirdl Schdond missmr en dr'Schul sei, also krig dein Arsch hoch.'
Er dreht sich um und geht wieder runter in die Küche, um endlich zu frühstücken. Zehn Minuten später kommt auch der Otto runter, frisch geduscht, der Bock ist fast weg. Am Treppenabsatz bleibt er wie angenagelt stehen. Da wartet ein riesiger Rottweiler auf ihn.
'Desch d'Deisi!' ruft der Jakob aus der Küche. 'Dui'sch harmlos, wemmr koin Fählr machd!'
Kurz drauf kommt der Otto komplett vollgeschleimt in die Küche.
'I glaub, dui måg de,' sagt der Jakob grinsend und streckt ihm die Küchenrolle hin.
Der Otto hockt sich auf dem Pappa Layh seinen Platz in der Hoffnung, dass das unbenutzte Gedeck für ihn bestimmt ist. Er schenkt sich Kaffee ein und trinkt die ganze Tasse auf einen Zug leer. Der hat höllisch Durst, obwohl er schon die Hälfte vom Duschwasser geschluckt hat. Dann bedient er sich mit Brot, Butter, Honig und Xelz und steckt sich je ein Honeysmack in jedes Nasenloch, als die Mamma Layh nicht hinschaut.
'Woiß dei Muddr eindlich Bscheid, Oddo, dass du bei ons iebrnachded håsch?' fragt die Mamma Layh ihn plötzlich.
Der Otto schüttelt den Kopf und beißt von seinem Brot ab.
'Des endressierd dui nemme,' sagt er mit vollem Mund. 'Dui'sch abghaua.'
Der Jakob hört auf zu kauen.
'Cool,' sagt er.
'Jakob!' schnauzt ihn seine Mamma an. 'Ja, on dein Vaddr?' fragt sie dann.
Der Otto zuckt mit den Schultern.
'Wird em ed uffgfalla sei.'
Erst als die Mamma ihm das Telefon hinlegt und drauf besteht, dass er seinem Pappa Bescheid gibt, wo er ist, wird der Otto nervös. Eins von den Honeysmacks fällt ihm aus der Nase. Er schiebt das Telefon weg und murmelt, 'Mir wär's liebr, wenne ed årufa missd, Frau Layh. Des wird dem gwieß gar ed uffgfalla sei –'
Die Mamma Layh knallt ihm das Telefon wieder hin und sagt, 'Endwedr du rufsch jetz drhoim å, oddr i ruf bei dr'Schul å on die rufad nå dein Vaddr å. Kåsch dr's raussucha.'
Die Entscheidung ist leicht. Der Otto greift nach dem Telefon und wählt seine Nummer – und ist endlos erleichtert, als einer von seinen Brüdern rangeht. Er erklärt die Sache in anderthalb Sätzen. Das geht seinem Bruder sowas von am Arsch vorbei, der richtet das seinem Pappa garantiert nicht aus, obwohl der Otto ihn scheinheilig drum bittet. Jetzt ist die Mamma Layh zufrieden und lässt den Otto in Ruhe zu Ende frühstücken.
Der Otto lässt dem Pappa Layh keinen Tropfen Kaffee übrig. Als der Jakob und er grad vom Tisch aufstehen, hüpft ein Mädel in die Küche.
'Hai!' ruft sie, winkt dem Jakob und dem Otto zu und drückt ihrer Mamma einen Kuss auf die Backe.
'Desch d'Lo, mei Schweschdr,' sagt der Jakob zum Otto.
'Hai,' sagt der Otto. Dann schnappen sie ihre Schulränzen und hauen zur Schule ab.
Der Hansi macht ein ganz schön blödes Gesicht, als der Jakob und der Otto zusammen ankommen und sich über Autos unterhalten. Der Jakob scheint sich nicht mal zu schämen, als er merkt, dass der Hansi ihn mit dem Spasti sieht. Er behandelt den Otto heut schon eher wie ein menschliches Wesen. Auch wenn ihm das Gehampel von dem Burschen immer noch brutal auf den Senkel geht. Immerhin hat er heut seine Gaudi mit dem Otto, weil der immer noch dehydriert ist, in jeder Pause seine Wasserflasche füllt und sie während der Stunde heimlich leert, sobald ihm die Lehrer den Rücken zuwenden. Davon wird der Otto erst recht nervös, weil er ab der dritten Stunde ständig aufs Klo muss.
'Mann, du nerfsch ächd, Kerle,' sagt der Jakob nach der sechsten Stunde klipp und klar zu ihm. 'Diagnose: Schbaschdigr. Dr'Dogdr Layh empfiehld: Kommsch heid Åbad mid zom Marley. Der Schitt geschdrn håd de ächd rondrbråchd.'

Der Otto hat keine Lust, nach der Schule heimzufahren und dann abends um achte wieder von Kirchheim nach Bad Cannstatt zu kommen, deswegen schleppt der Jakob den Otto zum Mittagessen gleich wieder daheim an.
'Ed dein Kumbl, ha?' meint die Mamma Layh zum Jakob.
Der Jakob zuckt mit den Schultern und brummt, 'Mr arbeidad drå.'
Zum Mittagessen gibt’s Linsen und Spätzle. Zum Glück kocht die Mamma Layh immer so viel, dass drei Überraschungsgäste auch noch satt werden würden. Der Otto zählt wie zwei Überraschungsgäste, der vertilgt zwei Paar Saiten, eine Scheibe Speck, ein Pfund Spätzle und vier Schöpflöffel Linsen. Der Jakob und die Lorelei kucken interessiert zu, wie der Otto sich mit gleichbleibender Geschwindigkeit eine Gabelladung nach der andern reinschaufelt. Zu einer Portion Vanilleeis zum Nachtisch sagt er auch nicht Nein.
'Hemmr de halbwägs sadd krigd?' fragt die Mamma Layh am Ende schnippisch.
Der Otto zuckt mit den Schultern.
'Halbwägs.'
Dann grinst er schief und bedankt sich artig für das leckere Essen.
'Håsch Luschd zom a Ronde schwemma?' fragt der Jakob ihn und zeigt ihm den Swimmingpool, den die Layhs hinten im Garten haben. Der Jakob ist fest überzeugt, dass der Otto untergehn wird wie ein Stein, so viel wie der gefressen hat.
'Gael, Mann,' sagt der Otto bloß und strippt bis auf die Boxershorts.
Den Rest vom Nachmittag verbringen sie im Pool. Der Otto geht kein einziges Mal unter. Er versucht, auf einen von den Bäumen zu klettern, die da wachsen, um von einem Ast ins Wasser zu hüpfen. Das Ergebnis von der Aktion ist ein riesiger abgebrochener Ast, ein verstümmelter Baum und ein plattes Hinterteil.
'O fuck, Mann!' flucht der Otto und reibt sich stöhnend beide Arschbacken.
Der Jakob kriegt sich schier nimmer ein vor Lachen. Dann versteckt er den Ast im Gebüsch, während der Otto seinen glühenden Hintern im Wasser abkühlt. Weil man die Bäume vom Haus aus sehen kann, entscheiden sie sich, früher als geplant aufzubrechen – bevor der Pappa Layh heimkommt und aus dem Fenster kuckt. Sie ziehen die Klamotten über ihre nassen Unterhosen, und dann verschwinden sie durchs Gartentor. Sie latschen den Buckel vom Luginsland runter bis nach Bad Cannstatt rein und treiben sich da rum, bis es Zeit ist, sich mit dem Hansi und dem Heiner am vereinbarten Ort zu treffen, einer Parkbank mit Blick auf den Neckar unten am Wasen.
Der Hansi war gar nicht begeistert, als er mitgekriegt hat, dass der Jakob den Otto einfach zum Marley eingeladen hat. Der Marley ist nämlich dem Hansi sein Kumpel und Ex-Nebensitzer, der ist schon siebzehn und in der Zehnten, während der Hansi nach der Achten eine Ehrenrunde gedreht hat und zu seinem kleinen Bruder Heiner in die Klasse gekommen ist. Aber der Hansi hört auf zu schmollen, sobald beim Marley daheim im Keller der erste Rauch aufsteigt.
Es geht nichts über die verbrüdernde Wirkung von ätherischen Ölen.
Spätestens als der Otto sich dem Marley seine Gitarre schnappt und "Born to be wild" zu spielen anfängt und der Heiner mit glockenheller Stimme eine Britney-Spears-Persiflage über die Melodie drüberlegt, sind die Startschwierigkeiten mit dem Otto eh passé. Der Otto spielt "Paint it black", "Smells like teen spirit", "Hier kommt Alex" und alles, was er sonst noch so draufhat, und der Heiner kombiniert das mit "Oops! I did it again", "Baby one more time" und "Crazy", die er aus irgendeinem mysteriösen Grund auswendig kann, während die anderen Anwesenden sich auf den Sofas winden vor Lachen.
Keiner weiß am Ende, wie viele Joints während der Showeinlage rumgegangen sind, aber irgendwann kriegt der Otto keine zusammenhängende Melodie mehr hin und sabbert auf die Saiten, und der Heiner singt auf Deutsch irgendeinen Scheiß zusammen, ohne seine Britney-Spears-Stimme abzulegen. Um halb eins schmeißt der Marley die Vier raus, weil ein paar ältere Kumpels von ihm ankommen, die sich von bekifften Neuntklässlern gestört fühlen. Der Jakob und der Otto, der Hansi und der Heiner stolpern johlend durch den Kurpark, wo ihre T-Shirts in den Bäumen landen, weil alle fast gleichzeitig Hitzewallungen kriegen und die Oberkörper freimachen. Die Schuhe und die Socken bleiben auch irgendwo auf der Strecke; bloß der Heiner hat seine Socken noch an, als sie wieder aus dem Kurpark rauskommen.
Am Anfang von der Cannstatter Altstadt kommt irgendeiner auf die bescheuerte Idee, nackig die Marktstraße rauf und runter zu rennen. Das war bestimmt der Hansi, aber hundertprozentig weiß das hinterher keiner mehr.
Die Klamotten, die sie noch anhaben, schmeißen sie beim Klösterlebrunnen auf einen Haufen. Alle. Der Otto sauft wie ein Kalb aus dem Brunnen, während die andern drei sich über sein nackiges, grün und blau schillerndes Hinterteil lustig machen und der Jakob die Geschichte mit dem Ast erzählt. Dann kann's losgehen.
'Auf die Blätze – ferdich – los!' brüllen alle vier durcheinander. Der Jakob und der Hansi rennen schon bei „Ferdich!“ los und der Otto rennt bloß hinterher, weil der noch nie in der Marktstraße war und den Weg nicht kennt.
Das wird auch kein Hochleistungsrennen, im Gegenteil: Die Burschen kommen kaum vom Fleck. Die meisten Leute, die ihnen entgegenkommen, lachen bloß, weil sie nicht wissen, was sie nach Mitternacht mit einem Haufen nackiger Burschen in Downtown Bad Cannstatt anfangen sollen. Die Pitbulls von einer Gruppe Türken würden gern mitrennen, Gott sei Dank sind die an der Leine.
Der Heiner und der Otto haben ein bisschen den Anschluss verloren, als sie am Ende von der Marktstraße ankommen. Plötzlich hören beide eine Männerstimme rufen, 'Jetz gugg au, Seggemann! Då kommad nomml zwoi!'
Sie hätten das schon von weit sehen können, dass da mitten auf der Marktstraße ein Streifenwagen steht, der blau und orange blinkt. So dicht, wie der Otto ist, fällt ihm das Polizeiauto aber erst auf, als er direkt davor zum Stehen kommt. Als nächstes tauchen zwei Polizeibeamte in seinem beschränkten Blickfeld auf, ein ganz junger und ein etwas älterer. Dem Otto sein Blick kreuzt den vom älteren, und sie stieren sich sekundenlang an. Diese erste Begegnung mit dem Seggl brennt sich dem Otto für immer ins Hirn ein, das Gesicht von dem das Einzige, woran er sich morgen erinnern wird.
Jetzt fängt der Otto erstmal voll an zu lachen.
'O fuck,' murmelt er. Dann rennen der Jakob und der Hansi wie die gesengten Säue an ihm vorbei, dann der Heiner, und dann schnallt sogar der Otto, dass das keine schlechte Idee ist. Er spürt, wie ihn eine riesige Hand am Arm packt, aber der Otto ist nackig und verschwitzt und glitschig wie ein Aal – der Seggl verliert den Halt, und schon ist der Bursche auf und davon und ein grün-blaues Hinterteil ist das Letzte, was der Seggl und sein Kollege sehen. Der Otto wetzt jetzt so schnell die Marktstraße runter, dass er die andern drei sogar überholt. Er stoppt nicht am Klösterlebrunnen, um seine Klamotten aufzusammeln, der rennt kopflos zurück in den Kurpark, und der Jakob, der Hansi und der Heiner rennen ihm genauso kopflos hinterher.
Die nächste Dreiviertel Stunde lang verstecken sich vier nackige Gestalten im Kurparkgebüsch, und mehr als unterdrücktes Gegacker hört man nicht. Dann streiten sie eine Weile drüber, wer sich zum Brunnen zurückschleicht und die Klamotten holt. Aber da lauert jetzt bestimmt die Polizei, das ist zu riskant. Ihre T-Shirts hängen hoch oben in den Bäumen und keiner schafft's hochzuklettern.
Zum Schluss kommen sie überein, sich zu trennen und halt nackig nach Hause zu laufen. Der Hansi und der Heiner hängen sich dem Heiner seine Socken an die Schwänze und stolpern in die eine Richtung davon, der Jakob und der Otto ohne Socke in die andere. Der Weg zurück zum Jakob heim ist ganz schön weit, aber sie sind immer noch auf Hundertachtzig wegen der Nummer, die sie grad abgezogen haben, und der Treibstoff langt bis fast vor die Haustür. Unterwegs findet der Jakob eine MacDonald's-Tüte, die er großzügig entzweireißt, damit sie sich wenigstens vornerum bedecken können. Dann entdecken sie Leintücher, die in einem Garten über Nacht zum Trocknen hängen. Sie nehmen die Wäsche ab, klemmen ersatzweise die Papiertütenhälften mit den Wäscheklammern an die Wäscheleine und rennen als kleine Gespenster verkleidet den Rest vom Buckel hoch. Das ist auch eine super Ganzkörperbedeckung, um ins Haus reinzukommen, weil die Layhs eine Videoüberwachungsanlage haben. Der Jakob rechnet fest damit, dass der Pappa morgen das Video ankuckt, um zu kontrollieren, wann sie heimgekommen sind. Immerhin kann der dann nicht sehen, wie sie heimgekommen sind.
Das Einzige, worüber der Pappa und die Mamma Layh sich dann am nächsten Morgen wundern können, ist, dass der Otto von Kopf bis Fuß in Klamotten steckt, die dem Jakob gehören.
Leseproben YouTube
Impressum